Mittwoch, 4. Juli 2012

Frühstück im Haarhaus

Horst stand am Abwaschblech. Er war trotz der Morgenwand aufgestanden und machte jetzt für sich und sein Drachenschwein Frühstück. Sie lebten gemeinsam in einem kleinen Haarhaus, das mit Baumabrieb funktionierte. Horst hielt nichts von diesem neumodischen Kopffahrzeugen. Dien Amphibienmist hätte das Drachenschwein zwar produziert, er wäre so ressourcenunabhängiger gewesen als mit dem alten Baumabrieb, aber er scheute die Nacktsteuer, die er hätte für den nackten Drachenschweinhintern zahlen müssen. Außerdem wäre die Fortbewegung auf den Gummirestestraßen nicht so reibungslos gelaufen, da der Baumabrieb den Schmierengummi der Straße besser fernhielt als das Kopffahrzeug.
Horst stellte gerade Teller auf die Sonnentafel, als die Birnenkäferschaft, seine Untermieter, die Küche betraten. Einer der kleinen Birnenkäfer hielt ein sonderbares Instrument in den Händen, welches schiefe Gitarrenlaute von sich gab. Dazu stimmten seine Begleiter ein Klagelied über ihren alljährlichen Sommerkater -Sonne wirkt bei Birnenkäfern wie beim Menschen Alkohol nur länger- und ihr Weihnachtssyndrom, was sie dazu zwang immer und immer wieder Weihnachtslieder zu singen, an. Man muss wissen, dass Birnenkäfer im Laufe des Jahres immer entweder an dem einen oder an dem anderen leiden, sie haben also immer etwas zu beklagen. Dies hier war nur eine weitere Küchendemo. während der sie Erwartungsgrafitti in Schokoladenschrift an die Wände malen würden und dann wieder abziehen.
Während dieser fast alltäglichen Prozession kam das Drachenschwein laut traschend herein. Ihm war bereits ein Anrufbart von stattlicher Größe gewaschen, so viel telefonierte es jeden Tag, besonders morgens, nachdem es sich aus seinem Kuschelzeug erhoben hatte und sich das Hosenzeug umgehangen hatte. Als es Horst und die lärmenden Birnenkäfer erblickt, schmiss es sein Telefon in die Richtung der Insekten. Er mochte sie und ihre Küchendemos nicht.
"Was gibt es zu essen?", grummelte das Drachenschwein und setzte sich an den Tisch. Der Stuhl knirschte leise unter seinem Hintern. In der Tat, Horst hätte eine besonders hohe Nacktsteuer dafür bezahlen müssen und das wollte er nicht unterstützen. Körperteile nach der Größe besteuern... Er schüttelte energisch den Kopf und stellte den Fängerkorb, den sie jede Nacht zum Brotfischen raushingen, vor das Tier: "Bordürenbrot, mehr war leider nicht drin."
Die Birnenkäfer räumten die Küche, als Horst und das Drachenschwein mit dem Frühstück begannen. "Wir müssen heute zum Umschlagtier, erinnerst du dich?" Die Antwort des Drachenschweins bestand aus einem langgezogenen Grunzen, was mehr ein Stöhnen war, aber das funktionierte nicht so recht. Horst schnitt das Bordürenbrot in appetitliche Happen und legte sie auf einen Teller: "Wir müssen deswegen nachher das Haufensegel spannen, um schneller der Bachrücken zu passieren. Ich will vor der Abenddämmerung dort sein."

Dieser Text ist im Rahmen von KAPER entstanden.

Freitag, 29. Juni 2012

papierkrieg

ich beuge mich über den text. meine augen wandern zeile um zeile den text entlang. er ist schlecht. die worte sind unglücklich gewählt. die charaktere zu flach gezeichnet.
ich setze den stift an. streiche buchstaben um buchstaben. tilge den text. vernichte bestehendes. nehme mir vor, von vorn zu beginnen.
in mir regt sich zweifel. ich finde den text so unerträglich. ich werde ihn doch nicht mehr anfassen. wie konnte ich nur so etwas stümperhaftes schreiben? was ist da nur in mir vorgangen? es ist mir unerträglich noch ein weiteres wort dieses textes zu lesen.

mir gegenüber sitzt eine frau. neben ihr ein mann. er hält ihre hand. er drückt sie sehr doll. hält sie fest. sie liegt wiederstandslos in seiner. sein arm ist steif. ihrer ganz weich.
seine augen sind verhangen. sein blick abwesend. er schaut sie unablässig an. sie schaut weg. manchmal zum fenster raus. ich sehe, wie ihre augen vorüberziehendes fixieren. und dann springt ihr blick zu mir. ich kann sie nicht ansehen. in ihren augen steht eine frage. unausgesprochen. zwischen uns dreien. sie schafft gemeinschaft. ich habe nicht danach gefragt.

ich wende mein gesicht ab. gucke in den flur. auf ihre knie. auf den text, der auf meinen oberschenkeln liegt. ich stecke fest. komme keinen schritt weiter. mir ist der atem ausgegangen. worte hängen in meinen fingern quer. ich kann sie nicht aufschreiben. kann ihnen keinen platz einräumen. meine stummen finger klammern sich an papier und rotstift. ich streiche text durch. kaue an dem stift herum. hadere mit der entscheidung, ein wort zu streichen oder zu belassen.

es ist heiß im abteil. schweiß läuft an meinen beinen herunter. die lüftung ist ausgefallen. durch das fenster kommt glühende, trockene luft in den kleinen raum. ich lege mir ein nasses tuch auf die stirn. das wasser läuft über mein gesicht und vermischt sich mit dem schweiß. ein salziger geschmack breitet sich in meinem mund aus.

sie hat nicht viel an. eine kurze hose. ein trägeroberteil. sandalen. die haare hochgebunden. er hat eine lange hose an. sehr grob. das hemd ähnlich. erdtöne. sie auch. die sonne hat sich bereits in seine haut gegraben. sie ist blass. ihr gesicht aschfahl. die augen glasig. sie rutscht in ihrem sitz herunter. sackt in sich zusammen. ihre augen flattern.

wasser tropft auf den text. tinte verschwimmt. hier schreibe ich nur noch mit bleistift. leichter. trocknet nicht aus. aber der text ist älter. das tuch gleitet von meiner stirn auf das blatt papier. ich verhindere es nicht. ich fische es herunter. die tinte zerläuft. die roten striche bleiben.
die heiße luft trocknet meine stirn. ich wische mit dem tuch über meine arme. meine beine. meine stirn vor ihren knien. mein blick wandert zu ihren augen. über ihren bauch. ihre brust. dürftig bedeckt. kleine schweißperlen auf ihren schultern. ihr kinn. ihre wangenknochen. ihre augen sind geschlossen.

sie hat ihr gesicht vollständig von dem mann neben ihr abgwandt. dieser sitzt unbeweglich neben ihr. seine hand hält ihre fest. er drückt sie so stark, dass das fleisch unter seinen fingernägel weiß wird. alles an ihm wirkt angespannt. er hat sich die letzte stunde nicht ein mal bewegt. sie windet sich in ihrem sitz. stöhnt. er verharrt stumm. hält ihre hand. sieht sie an.
ihre hände. der einzige punkt an ihren beiden körpern, der sich berührt. nicht einmal ihre blicke kreuzen sich.

ich richte mich auf. wende mich dem blatt papier zu. es ist durchgeweicht. die buchstaben verschwimmen vor meinen augen zu einer gräulichen, schlierigen füssigkeit, die kalt vom blatt auf meine füße tropft. worte zerfließen. ich muss nichts mehr streichen. mein wunsch hat bereits alles vernichtet.
der anblick bleibt unerträglich. das wissen um die worte quält mich. gefangen. gefesselt. ich zwinge mich, das papier wegzulegen. neben mich. der platz ist frei.

nur wir drei. ihre augen bleiben an meinen hängen. ich kann das nicht halten. will es nicht. diese traurigkeit. diese einsamkeit. ich bin kein anschluss. kein trost für sie kann von mir ausgehen. soll von mir ausgehen.
meine haut klebt am sitz fest. es reißt, wenn ich mich bewege. wieder wische ich meine arme mit dem tuch ab. nach der uhr komme ich bald an. das gepäck liegt in einem anderen waggon. am ende des zuges.

ein lautes schluchzen bricht tief auf seinem inneren aus ihm heraus. er zieht sich in sich zusammen. alle spannung fällt von ihm ab. er rollt sich auf den sitz. packt sie. schüttelt sie. drückt sie.
sie wankt substanzlos in seinem griff. wirkt abwesend. fern von hier. sucht meinen blick.

ich will nicht. fliehe zum text. der keiner mehr ist. das ist nicht mein kampf.

ihr körper ist ihm völlig ergeben. macht alles, was er ihr antut, klaglos mit. ihre haut wirkt fast durchscheinend. die blauen adern durchbrechen ihren porzellanhaften teint. aber sie zerbricht nicht. sie formt sich nach seinem willen.
er stöhnt. wild geworden. bläht sich auf. die heiße luft dringt in sein inneres. er schreit laut auf. wird starr vor schreck. sink wieder in sich zusammen. nach luft schnappend. legt die stirn auf ihre schweißbedeckte schulter.

die luft strömt pfeifend ins abteil. die landschaft hat sich nicht verändert. schmutziggelbe, steinige erde. verdorrte pflanzen. dornenbesetzt. damit keiner ihre letzte lebenskraft raubt.

ich setze meine füße auf die verbrannte erde. das vernichtende gewicht des gepäckes auf meinen schultern. meine begleiter erwarten mich bereits. ihre augen hinter glas. ihre hände am fenster. ihre wangen überströmt. es hat schon lang nicht mehr geregnet.

Mittwoch, 27. Juni 2012

eine intime Angelegenheit

(basierend auf einer Ausgabe der Zeitschrift Spiegel, eingesendet von anonym)

saiten

ich spüre
wie ihre finger die saiten zum schwingen bringen
wie sie fest und bestimmt in die saiten greift
wie sie sie mit der anderen hand gegen das brett drückt
sie träumt
singt
träumt singend und
singt träumend
und dieser gesang spricht zu mir
in tausend worten
die ich kaum zu finden vermag
bewegt sie etwas in mir
hinterlässt etwas in mir
tief in mir
spüre ich einen riss
und sie tanzt über diesen riss
sie tritt hinein
flickt ihn mit ihren schritten
tippelt auf beiden seiten entlang
verbindet diese seiten und reißt sie dann wieder auseinander
ich möchte weinen
wenn sie trauert
ich möchte jubeln
wenn sie sich freut
ich möchte ihr meine hand geben und mit ihr gehen
diesen weg entlang
der da vor uns liegt
und doch schon wieder ausradiert wird
durch die zeit
durch die umstände
durch diese dinge
die uns umgeben
und uns begrenzen
ihre stimme tönt in meinen ohren
und ich möchte, dass sie dort verbleibt
ich möchte ihre worte immer hören
ich möchte, dass sie mich begleiten
doch nur meine erinnerung wird das besorgen können
denn ich weiß
ich weiß zu viel
um diesen weg gehen zu können
denn da sind schranken
die es verhindern
ich sehe diese schranken
und ich weiß
wie ich sie öffnen kann
nur der wärter hat angst sie mich anheben lassen
und so verweilen ihre augen auf mir
einen augenblick lang
ich möchte immer so von ihr angesehen werden
ich möchte sie so ansehen dürfen
bar dieser schranken
sie berühren dürfen
ein augenblick soll ewig währen
aber er löst sich in seiner beschränktheit auf
und zeigt mir grenzen
von deren existenz ich wusste
aber ich möchte sie verwünschen
ich möchte sie verwünschen
sie tilgen
sie löschen
sie ausradieren
wie es diese dinge mit dem weg tun
der da vor uns liegt
mein herz klopft bis zum hals
fast habe ich angst
sie könnte es hören
ihren blick abwenden
ihren gesang unterbrechen
hör auf mein herz
zu schlagen
gegen die wand
die mein äußeres von meinem inneren trennt
die es mir ermöglicht
fassung zu bewahren
wenn ihre augen auf mir liegen
wenn ihre lippen worte formen
die in mir wiederhallen
ein echo bilden
das ewig hallt
ich kenne diese worte
ich habe sie gehört
ich habe sie gelernt
bevor ich hier her gekommen bin
und meine lippen wiederholen ihre worte
weil sie keine besseren finden
weil sie verlernt haben zu sprechen
weil sie keine worte finden
die nicht ihre wären
ihre worte fließen mit meinen kopien zusammen
jenseits der schranken
und mein herz klopft
mir bis zum hals
und jeder kann es hören
meine augen suchen ihre
versuchen zu sehen
was sie sieht
und scheitern
kläglich
mir bleibt der widerhall im innern
mir bleibt die erinnerung
und so öffne ich meine augen
öffne meinen schleusen
versuche so viel wie möglich
von ihr in mich
aufzunehmen
aber ich kann nicht
genug davon bekommen
meine lippen stimmen sich
auf ihre worte ein
meine hände auf diesen weg
mein äußeres spiegelt schon zu viel
inneres wider
schon längst hat sie es bemerkt
hat mich angesehen
hat mich eingeladen
jedoch bleibt mir nicht mehr
als ein kopfschütteln
wenn sie mich fragt
ob ich über den zaun klettern kann
auch wenn ich lüge
denn es ist nicht das können
sondern das dürfen
was mich einsperrt
aber ich wage nicht
an der schranke zu rütteln
denn in ihr zu viel liebe gebunden
doch ist es möglich
bei nicht dürfen überhaupt von können zu reden
wird doch das können mit dem verbot unterbunden
kann nicht erprobt werden
sie zupft an meinen saiten
sie singt meines inneren worte
sie malt meine landschaften
die die ihren sind
verleiht ihnen neue farben
die sie bei mir nie hatten
gibt ihnen neue funktionen
die sie bei mir erfüllten
ich spüre
wie sie spielt
und sie spielt konzentriert
mit dem publikum
sie löst grenzen
verstärkt sie
sie spielt
bis eine saite reißt

Samstag, 21. Januar 2012

Absturz

Ein Schluck, ein Zug in die Ewigkeit zerschneidet
den Moment, zerberstet
das Farbenspiel. Das Stroposkop
zerreißt das Licht. Bruchstücke
lassen Menschen zucken
wie im Zeitraffer. Es brennt
in Rachen. Es stinkt
überall. Weit aufgerissen
sind die Mäuler. Gierig
nach Wasser. Zuckend schwappt
das Glas über. Es fällt
hinunter. Zerfällt in Scherben.
Bedeckt meine nackten Füße
am Strand. Hitze, Hitze brennt
sich in meine Haut. Salz
auf meiner Zunge. Das Meer reißt
die Hände auf. Zerschneidet
seine Finger. Blut
im Mund. Ich sinke
ins Gras. Dreck unter
den Fingernägeln
als Zierde. Der letzte Schrei
gellt in den Ohren. Bellen
aus der Ferne. Sie schwingt die Peitsche
auf dem Kutscherbock. Pferdemist
spritzt auf ihre Schuhe. Dreck
in ihrem Gesicht
glänzt. Diamanten
hat sie nie gesehen. Das Licht
erbricht sich in die Kutsche. Augenringe
starren in die leere Menschenmenge.
Der Aufprall ist gewiss
nicht das Letzte. Zunächst
röcheln. Wie hecheln nur endgültiger.
Der Boden naht.
Haare im Mund. Haarspray
auf der Zunge. Ich style
meine Zunge. Zwiegespalten.
Zerschnitten
ist der Moment der den Schlag
in den Spiegel. Oh ja, die Scherben
rieseln auf mich nieder
wie feiner Schnee. Es ist
vielen zuwider.
Wir tanzen alle, erleuchtet
von der Diskokugel. Schnee
am Körper. Wasser in den Lungen.
Ich bin untergegangen.
Ich habe so viel Wasser geatmet.
Mann, den haben wir verloren.
Ich habe ihnen Rochen
vor die Füße gekotzt.
Erbrochen ist
die feine Wortwahl, aber
ich
habe
gekotzt.
Der Mops der Nachbarin
hat auch schon mal...
Sie steigt auf
den Laternenmast. Beflügt
hängt sie da. Vor Kälte
halb erfroren,
brennt sich ihr Gesicht
in meine Haut.
Diese Augen, dieser Blick,
dieser Augenblick zerreißt. Es knackt
im Gehölz. Dumpf zerschneidet
der Schmerz mit stumpfem
Werkzeug die Sehnen.
Der Ritt geht weiter
in schmieriger Gestalt
steht es vor mir. Fletscht
die Zähne. Es läuft
die Geifer. Es zuckt.
Leise,
Still
prankt die Seerose
in ihrem Schoß. Wächsern liegt
sie da auf dem trockenem Moor.
Der Beat zieht durch die Ohren.
Der Rythmus blinkt
im gleißenden Licht.
Ich ergebe mich.
Ich wars.
Der diesen Zug nimmt.
In die Ewigkeit.
Der Moment zerschlägt
den Kopf. Wissen
fällt heraus. Es
zerbricht. Es
bricht auf. Es
erbricht. Es
dominiert meine Gedanken.
Eine weiche
Couch auf dem Weg.
Leg dich hin, dann geht's dir besser.
Was fällt dir ein?
Vieles hierzu, wenig dazu.
Hoffnungslos(es)
Drücken auf den Brustkorb. Endlose
Abfolge einer ungemütlichen
Routine. Eine Schwere
und fliegt davon.
Ich habe kein Herz mehr.
Japsend schleppe ich
mich
zur
Theke.
Rund herum glücklich
in der Hölle der Idylle zerfrisst
es ihn.
Die Leber, die Nieren, auch die Lunge,
soll ich es Ihnen einpacken? Ist es
nicht schön, so ein Fest
in der Familie?
Piepsen
im Ohr.
Ticken
in der Brust.
Rascheln
im Gehölz.
Die Dreckbrühe glitzert
in den Wipfeln. Matsch
klebt an den Stiefeln.
Es stinkt.
Es brennt.
Alle hasten kriechend
aus dem
Sumpf heraus.
Moder in den Haaren.
Sehe ich nicht schön aus
im Zug?

Sonntag, 4. Dezember 2011

Josuns Baum

Josun wachte auf. Sein Haus vibrierte. Es musste mitten in der Nacht sein, hatte er doch das Gefühl sich eben schlafen gelegt zu haben. Er stand auf und ging in seinem Nachthemd zur Tür. Er öffnete sie zaghaft. Ihm kam das Vibrieren doch reichlich komisch vor. Noch nie hatte sein Haus vibriert. Häuser sind ja auch nicht dazu da zu vibrieren, sie sollen bitte still stehen, vor allem wenn man in einem Haus wie Josuns wohnt. Josun wohnte nämlich in einem Baum. Um genau zu sein wohnte er in dessen Wurzelwerk und seine Haustür war unweit von dem Baum entfernt. Josun mochte kein Tageslicht in seiner Wohnung, ein paar Kerzen reichten ihm völlig aus. Josun war ein Zwerg und er teilte sich den Baum mit einer Elfenfamilie, die im Geäst des Baumes wohnte.
Sie hatten eine Abmachung mit dem Baumgeist, der den Baum beseelte: Kümmerten sie sich um Blatt- und Wurzelwerk, also die Elfen um die Blätter und der Zwerg um die Wurzeln, dann duldete er sie und schenkte ihnen Schutz und Wärme. Und das taten sie nun schon sehr lange. Sie sorgten dafür, dass die Blattläuse sind zu viel Unfug trieben, der Zwerg hielt Ungetier von den Wurzeln fern. Aber der Zwerg tat noch etwas Anderes: Er kümmerte sich darum, dass die anderen Zwerge einen Bogen um den Baum machten. Zu gerne hätten sie in abgeholzt, um Feuerholz aus ihm zu machen, aber Josun hielt sie davon ab. Wie genau er das anstellte, verriet er keinem, aber die Zwerge kamen nicht. Josun reichte die Wärme, die der Baumgeist ihm schenkte, er musste nicht mit Holz heizen.
Die anderen Zwerge wohnten aber auch nicht in Bäumen, sie wohnten in Höhlen und kümmerten sich eigentlich auch nur um sich. Es waren keine angenehmen Genossen. Deswegen hatte er sie auch vor langer Zeit verlassen. Zwergen sind kleine, zähe Gestalten und Zipfelmützen tragen sie nur in den Phantasien von Menschen. Auch schieben sie keine Schubkarren vor sich her. Diese rotwangigen, dicklichen, niedlichen Gestalten, die bei manch einem im Garten stehen, haben nichts mit eigentlichen Zwergen zu tun. Zwerge sind sehr klein, haben spitze Nasen und spitze Ohren. Sie kleiden sich mit Fellen und Tierhäuten und ihr Körperbau ist drahtig. Arme und Beine sind sehnig und stark behaart. Auf Josun traf all dies zu, nur seine Kleidung unterschied sich erheblich von der eines Durchschnittszwerges. Ihm waren Flechten und Moose viel lieber als Tierfelle, denn er jagte nicht. Er kochte sich auch keine deftigen Fleischmahlzeiten, vermutlich war er der einzige vegetarische Zwerg, den diese Welt je gesehen hat. Die Elfen in seinem Baum hatten ihm auch Kleidung aus ihren Stoffen geschneidert.
Elfen sehen auch nicht aus wie die auf den Postkarten und Bilderchen, die sich die Menschen manchmal schenken. Auch unter ihnen gibt es grobschlächtige Erscheinungen, aber die meisten waren von kleinem, zarten Wuchs, wenn auch um einiges größer als Zwerge. Sie konnten gut mit leichten Waffen umgehen, aber die Zwerge, die mit Josun den Baum teilten, waren nicht bewaffnet. Sie lehnten Waffen ab und waren eher auf Konsens aus als Konfrontation. Die trugen ihr Haar lang in Zöpfen. Ihre feingliedrigen Finger kannten allerhand Handwerke und so hatten sie sich ein kleines Haus aus totem Holz in den Baum gezimmert. Sie schneiderten dem Zwerg Kleidung und dafür kochte er für sie. So kamen sie wenigstens drei Mal am Tag gemeinsam an einen Tisch. Aber da der Zwerg das Kochen so liebte, fanden sie sich häufig auch öfter dort ein.
Josun stieß seine Haustür auf und wurde von der aufgehenden Sonne überrascht. Also war es doch nicht so spät, wie er gedacht hatte. Die Elfen huschten schon durch das Geäst. In ihren Augen sah er deutlich den Schrecken, den das Vibrieren ihnen wohl eingejagt haben muss. "Was ist geschehen?", rief er ins Geäst. "Die Bäume fallen!", schrie eine kleine Elfin. "Wir sehen es ganz deutlich und es fallen immer mehr.", ergänzte ein größerer Elf. "Ich kann nicht zu euch hoch klettern, mögt ihr herunterkommen? Ich habe auch ein Frühstück für euch.", fragte Josun. "Wir kommen gleich zu dir.", antwortete der größere Elf und wandte sich von Josun ab. Dieser verschwand wieder in seinem Haus und deckte geschwind den Tisch. Es waren viele Elfen, also beanspruchte es immer eine gewisse Zeit, den Tisch hübsch zu machen, aber Josun war davon überzeugt, dass Schönheit heute nicht so wichtig war.
Josun klopfte energisch an das Holz des Baumes: "Baumgeist, willst du mit uns essen?", fragte er. Es knirschte laut und eine Rauchschwade stieg aus dem Holz. "Du weißt, dass ich nicht im eigentlichen Sinne essen kann. Aber ich denke, ich sollte euch Gesellschaft leisten." Noch mehr Rauch waberte aus dem Holz und füllte den Raum soweit, dass eine Elf gerade so noch stehen konnte, ohne mit dem Geist zu kollidieren. Und da kamen sie auch schon. Sie kamen geduckt durch die Eingangstür, durch die Josun auch nur gerade so passte, und setzten sich alle auf ihre angestammten Plätze. Der größere Elf trat als Letzter ein und guckte so gleich zur Decke: "Ah, ich sehe, du hast unseren Gastgeber auch eingeladen. Gut so." Mit diesem Worten setzte sich der Elf. Er hatte ein sehr anmutige Gestalt und war der Älteste. Er hatte vor kurzer Zeit den Platz der Ältesten eingenommen, die bei einem Sturz von Baum umgekommen war.
Josun reichte einen Korb mit geschnittenem Brot und eine Karaffe mit Beerensaft herum. Alle nahmen sich und schenkten sich ein. Dann regte sich der Baumgeist, seine Stimme klang unangenehm schneidend: "Meine Lieben, wie ihr sicherlich bemerkt habt, ist dies kein sicherer Ort mehr für uns. Wir müssen fliehen, uns einen neuen Baum suchen." Die jüngeren Elfen verfielen in einen leises Schnattern. Sie kannten nur diesen Baum, kein anderer Baum, so waren sie der Meinung könne ihnen ein solches Heim bieten. Josun trank einen kräftigen Schluck und erhob die Stimme: "Wo sollen wir hin? Habt ihr von eurem Haus aus einen Ort gesehen, wo die Bäume stehen bleiben?" Er wandte sich direkt an die Elfen. "Nein, jeden Ort, den wir von dort aus sehen können, ist von den fallenden Bäumen betroffen. Wir werden lange wandern müssen. In unseren Geschichten existiert ein Ort, der Ewiger Wald heißt, aber der ist weit weg von hier und weder Zwerge noch Baumgeister dürfen dort hinein.", sagte der Älteste. "Dann werden sich unsere Wege hier trennen müssen.", man merkte dem Baumgeist seinen Unmut an. "Nein, ich möchte mit euch gehen. Ich möchte bei euch allen bleiben und nicht nur bei einem Teil von euch.", Josun hatte sich so an den Baumgeist und die Elfen gewöhnt und sie mochte sie aufrichtig. Er konnte sich ein Leben ohne sie kaum vorstellen. Der Älteste nahm seinen letzten Bissen Brot und spülte ihn mit Saft herunter. "Nun gut, wenn ihr bei uns bleiben möchtet, dann werden wir uns gemeinsam auf die Suche nach einem neuen Heim begeben. Wie viel Proviant kannst du heute herstellen?", er schaute Josun fragend an. "Wenn wir sparsam sind, reicht es eine ganze Weile.", erwiderte er. "Wir werden sparsam sein müssen, denn der Weg wird lang. Nun Josun, deine Aufgabe ist klar. Baumgeist, wie tief reichen die Wurzeln dieses Baumes?", der Älteste schaute zur Decke. "Sie reichen sehr tief." "Kannst du ergründen, ob die tiefsten Wurzeln, die du findest, denen anderer Bäume begegnen und in Erfahrung bringen, ob diese auch fallen?", der Älteste hatte offensichtlich einen Plan. "Ja, das kann ich, wenn diese Bäume auch von einem Baumgeist beseelt sind.", der Baumgeist wollte den Raum schon wieder durch die Wände verlassen, aber der Älteste hielt ihn noch kurz zurück. "Berichte mir zu Sonnenuntergang, was du erfahren hast." Der Baumgeist verschwand und die Luft in Speiseraum wurde merkbar leichter.
Josun stand auf und begann den Tisch abzuräumen, die kleineren Elfen halfen ihm dabei. Sie tuschelten immer noch und Josun merkte, dass ihnen der Gedanke, den Baum zu verlassen Angst machte. Elfen sind nicht gern auf dem Erdboden unterwegs und die Aussicht auf einen lange Wanderung schien bei keinem anwesenden Elfen Behagen hervorzurufen. Nachdem der Tisch sauber war, trollten sich die jüngeren Elfen aus dem Haus des Zwergen und es blieben nur die älteren Elfen bei ihm. "Wo sollen wir nur hin?", eine Elfin mittleren Alters sah sehr besorgt aus. "Mach dir keine Sorgen, der Baumgeist wird es uns heute Abend sagen können.", beschwichtigte sie der Älteste. "Aber bis dahin sollten wir abreisefertig sein. Also sammelt eure Kinder ein und packt euer Hab und Gut. Nehmt nur das Nötigste mit, denn der Weg wird lang. Ich bleibe bei Josun und helfe ihm, unser Proviant herzustellen.", der Älteste legte Josun eine Hand auf die Schulter und wies die anderen Elfen aus Wohnung.
Josun zeigte dem Ältesten, wie man Brot herstellt, wie man Obst einkocht und Gemüse einlegt. Die Elfen nahmen in Geäst das Haus auseinander, packten ihre sieben Sachen und verstauten sie in handlichen Säcken, die sie problemlos auf dem Rücken tragen konnten. Sie besohlten alle Schuhe frisch und flickten ihre Kleidung. Der Baumgeist drang tief ins Erdreich ein und erforschte das Wurzelwerk des Baumes. Er folgte den Wurzeln anderer Bäume, die er am Ende jener seines Baumes gefunden hatte und traf ab und zu auf einen auskunftwilligen Baumgeist. Die meisten hatten schon lange nicht mehr mit jemanden gesprochen und wollten den Baumgeist für ein längeres Gespräch beanspruchen, aber als sie erfuhren, wie ernst die Lage seines Baumes war, ließen sie sehr schnell ab von ihrer fixen Idee und rangen ihm nur das Versprechen ab, sie zu besuchen, wenn er einen neuen Baum gefunden hat.
Und so trafen sie alle am Abend wieder in der Wohnung des Zwerges zusammen. Es gab einen deftigen Gemüseeintopf und einen warmen Tee. Der Kessel stand dampfend neben dem Tisch und die Elfen standen in einer Reihe und warteten darauf, dass ihre Schüssel gefüllt wird. Die jüngsten zuerst, so war es üblich, denn sie mussten noch wachsen, dann die Alten und zum Schluss die mittleren Alters. Als alle vor ihrer vollen Schüssel saßen, jeder mit einem Löffel in der Hand und gerade anfangen wollten, füllte sich der Raum mit Nebel. Der Baumgeist war eingetroffen. "Oh, wie das duftet. Wenn ich das rieche, wünsche ich mir immer, ich könnte auch essen, wie ihr es könnt. Lasst euch nicht stören. Esst ruhig, während dessen kann ich euch von meiner Reise erzählen." Der Baumgeist schien erheblich bessere Laune zu haben als noch am Morgen. Ach war der Raum bedeutend wärmer als am Morgen. "Also ich habe also die Aufgabe übernommen, in Erfahrung zu bringen, ob es einen Ort gibt, der nicht von fallenden Bäumen betroffen ist..." Der Geist erzählte lange und ausführlich von den anderen Baumgeistern, die er tagsüber kennengelernt hatte. Er schien gar nicht zu einem Ende kommen zu wollen, aber der Älteste und Josun sagten nichts, denn sie ahnten, dass das ein gutes Zeichen war. Der Raum heizte sich immer mehr auf und als die vierte Runde Suppe gerade ausgelöffelt war, es hatte ja kein Mittag gegeben, verstummte der Baumgeist. "Was ist, warum sprichst du nicht weiter? Ich wusste gar nicht, dass es so unterschiedliche Baumgeister gibt.", Josun drehte seinen Stuhl, während er das sagte, wieder zum Suppenkessel, um den Elfen, die noch Hunger hatten, eine fünfte Runde aufzuschöpfen. "Nun...", der Baumgeist räusperte sich, was in etwa so klingt als würde ein dicker Ast brechen, die kleinen Elfen guckten ganz erschrocken um sich, "der letzte Baumgeist, den ich traf, war schon sehr alt, er hatte schon viel erlebt und als ich ihm von unserem Problem berichtete, wusste er wovon ich sprach. Er hat das auch schon erlebt. Er lebt in einer sicheren Gegend, dort fallen keine Bäume." "Und du bist dir sicher, dass er nicht im Ewigen Wald lebt?", fragte Josun besorgt. "Er kann nicht im Ewigen Wald leben, dort gibt es keine beseelten Bäume.", stellte der Älteste erleichtert fest. "Kannst du uns dort hinführen?", fragte er den Baumgeist. "Ja, das kann ich.", antwortete er "Aber der Weg wird lang und beschwerlich." "Ich denke, dass das hier jedem bewusst ist, aber unser Heim fällt, also müssen wir weichen, so beschwerlich der Weg auch sein mag." Der Älteste putzte sich den Mund ab. Eine kleine Elfin stieg auf ihren Stuhl und stimmte ein Freudenlied an. Ihr fröhlicher Gesang steckte alsbald alle an und so sangen sie alle aus vollem Herzen mit. Auch der Baumgeist versuchte sich daran, aber er begnügte sich letztendlich damit, zu zuhören.
Spät in der Nacht verließen alle Josuns Wohnung, um noch ein wenig Schlaf zu bekommen, bevor die große Wanderung am nächsten Tag ins Haus stand. Josun wusch sich und zog sein Nachthemd über. Zuvor hatte er noch das Geschirr weggeräumt. Das würde er hier lassen müssen, so sehr es ihm auch ans Herz gewachsen war. In den Wänden nahm er ein leises Säuseln wahr, der Baumgeist schlief also schon. Er wollte gerade die Augen schließen, als plötzlich ein Ruck durch den gesamten Baum fuhr. Er sprang aus dem Bett und hämmerte wie von Sinnen gegen die Wand. "Baumgeist! Wir werden in den nächsten Minuten fallen." Aufgeregt zog er sich um und schrie aus seiner Haustür zu den Elfen: "Wir fallen!" Die Elfen wankten bereits hektisch durch das Blattwerk des Baumes. Jeder suchte nach seinem Päckchen, was er tragen sollte und sie warfen dem Zwerg seines herunter. Er schnürte es sich auf den Rücken und band seine Schuhe fest zu. Nacheinander kamen die Elfen aus dem Baum. Die kleinsten schwankten noch etwas schlaftrunken um die älteren herum. Der Baumgeist stieg aus dem Baum heraus. Nachts würde er gut zu sehen sein, ging doch ein grüner Schimmer von ihm aus, aber tagsüber... Josun wurde bang ums Herz, ob es so eine gute Idee war, sich auf den Geist als Führer zu verlassen?
Es krachte nochmals laut, der Baum kippte nach und nach zur Seite. Josun schaute noch einmal zurück. Er konnte sein Heim nicht ohne ein paar Tränen verlassen. Er blickte zum Ältesten herauf. Auch er hatte Tränen in den Augen: "Es war ein guter Baum, aber es ist Zeit zu gehen." Und so ging der Älteste mit Josun voran. Der Baumgeist war ihnen schon etwas vorausgeeilt. Die Luft war eisig. Josun hörte die kleinen Elfen weinen und die Beschwichtigungen der anderen Elfen. Sie stiegen auf eine Anhöhe. Es war anstrengend mit so vollem Magen eine solche Steigung zu bezwingen, aber sie nahmen es ohne Jammern auf sich. Ihr Baum jauchzte nochmals lauf auf, dann hörten sie wie das Geäst auf den Boden zerbrach. Sie hatten den höchsten Punkt erreicht. Vor ihnen eröffnete sich eine beunruhigende Aussicht. Die Sonne streckte gerade ihre ersten Strahlen über den Horizont und beleuchtete so die Szenerie, die sich ihnen darbot. Überall gefallene Bäume. Etwas in Josun zerbrach.

Sonntag, 27. November 2011

Das Schweineherz

Es war einmal eine Zauberin, die war so schön, dass alle Männer und Frauen im Lande ihr zu Füßen lagen. Aber sie war eitel und wollte noch schöner und nicht älter werden. Also schlug sie ihr Zauberbuch auf und fand so einen Weg zu unvergänglicher Schönheit und ewiger Jugend.
Sie rief ihren Jäger zu sich und befahl ihm, die Kinder von der Straße zu holen, dass sie ihre Herzen essen könne, denn nur so würde die ewig schön bleiben. Der Jäger fügte sich der Zauberin, denn er fürchtete ihre Strafe, wenn er sich ihr verweigern würde. Und so sammelte der Jäger die Kinder von der Straße auf und brachte sie zur Zauberin.
Bald war die Zauberin weit über das Land hinaus für ihre Schönheit, aber auch für ihre Grausamkeit bekannt. Sie wurde immer schöner, umso mehr Herzen sie aß. Eines Tages kam der Jäger mit neuen Kinder zu ihr. Die Kinder weinten bitter und der Jäger wollte gar nicht aus den Händen geben, aber als er die Augen hob, um die Zauberin anzusehen, fiel er leblos um. Und so geschah es auch mit den Kindern, die die Zauberin ansahen.
Die Zauberin konnte sich das nicht erklären, also holte sie einen Hexer zu sich. Dieser aber wehrte sich dagegen von Angesicht zu Angesicht mit ihr zu sprechen. Die Zauberin ließ sich, erbost über das Verhalten des Hexers, eine Stellwand bringen, damit der Hexer mit ihr spreche. Die Zauberin trat hinter diese Wand und der Hexer trat herein. Er erklärte ihr, dass sie nun so schön sei, dass ein jeder, der sie anblicke, tot umfallen müsse. Denn sie habe so viel Tod in die Welt gebracht, um schön zu werden, dass jetzt auch ihre Schönheit todbringend sei.
Die Zauberin wies daraufhin jeden an, der mit reden wollte, eine Augenbinde zu tragen. Aber keiner außerhalb ihre Hauses durfte von diesem Umstand erfahren. Die Zauberin wurde immer einsamer und bitterer, denn niemand wagte es  mehr zu ihr zukommen. Aber sie ließ sich immernoch Kinder bringen, denn von ihrem Bestreben nach ewiger Schönheit hatte sie auch der Tod nicht abbringen können.
Und so kam es, dass eines Tages ein junges Mädchen mit einer Augenbinde in ihrer Halle stand und sie nach dem Geheimnis ihrer Schönheit fragte. Sie wolle auch so schön sein wie sie. Die Zauberin lachte und trat an das Mädchen heran. Nach vielen Jahren der Einsamkeit war sie das erste Geschöpf, was freiwillig zur Zauberin kam. Sie lud sie zum Verweilen ein, damit sie gemeinsam zu Abend essen können.
Eine Magd holte das Mädchen ab, badete es in einer Kammer und kleidete es in den schönsten Kleidern, die es je gesehen hatte. Sie geleitete es dann zum Abend zum Speisesaal und band dem Mädchen eine Augenbinde um, bevor es in den Saal trat.
Und so saßen sie an einer langen Tafel jeweils an einem Kopfende und die Bediensteten tafelten sie besten Speisen auf, die sie zuzubereiten fähig waren. Und sie legten präzise das Gedeck auf und auch so merkte man kaum, dass auch sie Augenbinden trugen. Das Mädchen sah nichts von dem, was sie aß, denn sie konnte ihre Augenbinde ja nicht ablegen.
Sie fragte wieder nach dem Geheimnis der Schönheit der Zauberin. Die Zauberin lachte hell und kalt wie schon beim ersten Mal. Das Geheimnis ihrer Schönheit werde sie nicht verraten, aber das Mädchen dürfe gern bei ihr wohnen und von ihr lernen. Das Mädchen willigte ein.
Aber lang hielt sie es nicht aus, das Schreien der Kinder und die auferlegte Blindheit. Und so kam es, dass sie Zauberin fragte, ob sie gehen dürfe. Aber der Zauberin war ihre Gefährtin lieb geworden und so schloss sie sie ein und holte sie gleich einem Spielzeug immer wieder heraus, wenn ihr nach Gesellschaft war.
Die Zauberin konnte ihr Geheimnis nicht lange für behalten und so erfuhr das Mädchen, bald nachdem es eingeschlossen wurde, dass sie Kinderherzen aß, um so schön zu bleiben. Das Mädchen wurde älter und langsam wurde aus ihr eine junge Frau. Ihr Herz wurde immer einsamer und sie wurde darüber sehr traurig. Sie überlegte sich eine List.
Sie ließ einen Küchenjungen zu sich kommen und bat ihn ein Schweineherz für sie kaufen und ihr zu zeigen, wie diese besondere Speise für die Zauberin zuzubereiten sei. Der Junge, der ahnte, dass das seine Freiheit bedeuten könne, besorgte ihr das Herz und zeigte ihr, wie man das Ragout für die Zauberin kocht.
Und so bereitete sie das Herzragout für die Zauberin zu und kündigte das auch der Zauberin an. Diese aß es nichts ahnend und freute sich sogar, dass ihre Gefährtin sie in ihrem Streben nach ewiger Schönheit unterstützte. Am nächsten Morgen schallte ein spitzer Schrei durch das Haus. Die Zauberin war beim Blick in den Spiegel tot umgefallen. Der Küchenjunge holte die junge Frau aus dem Verließ und sie flohen weit weg.
Dort wurde die junge Frau für ihre Schönheit bewundert und viele junge Männer baten um ihre Gunst, aber sie hielt zu dem Küchenjungen. Sie öffneten ein Wirtshaus namens "Zum Schweineherz" und wenn sie nicht gestorben sind, dann schenken sie noch heute Bier aus. Aber eines sollte es nie bei ihnen geben: Herzragout.