Sonntag, 4. Dezember 2011

Josuns Baum

Josun wachte auf. Sein Haus vibrierte. Es musste mitten in der Nacht sein, hatte er doch das Gefühl sich eben schlafen gelegt zu haben. Er stand auf und ging in seinem Nachthemd zur Tür. Er öffnete sie zaghaft. Ihm kam das Vibrieren doch reichlich komisch vor. Noch nie hatte sein Haus vibriert. Häuser sind ja auch nicht dazu da zu vibrieren, sie sollen bitte still stehen, vor allem wenn man in einem Haus wie Josuns wohnt. Josun wohnte nämlich in einem Baum. Um genau zu sein wohnte er in dessen Wurzelwerk und seine Haustür war unweit von dem Baum entfernt. Josun mochte kein Tageslicht in seiner Wohnung, ein paar Kerzen reichten ihm völlig aus. Josun war ein Zwerg und er teilte sich den Baum mit einer Elfenfamilie, die im Geäst des Baumes wohnte.
Sie hatten eine Abmachung mit dem Baumgeist, der den Baum beseelte: Kümmerten sie sich um Blatt- und Wurzelwerk, also die Elfen um die Blätter und der Zwerg um die Wurzeln, dann duldete er sie und schenkte ihnen Schutz und Wärme. Und das taten sie nun schon sehr lange. Sie sorgten dafür, dass die Blattläuse sind zu viel Unfug trieben, der Zwerg hielt Ungetier von den Wurzeln fern. Aber der Zwerg tat noch etwas Anderes: Er kümmerte sich darum, dass die anderen Zwerge einen Bogen um den Baum machten. Zu gerne hätten sie in abgeholzt, um Feuerholz aus ihm zu machen, aber Josun hielt sie davon ab. Wie genau er das anstellte, verriet er keinem, aber die Zwerge kamen nicht. Josun reichte die Wärme, die der Baumgeist ihm schenkte, er musste nicht mit Holz heizen.
Die anderen Zwerge wohnten aber auch nicht in Bäumen, sie wohnten in Höhlen und kümmerten sich eigentlich auch nur um sich. Es waren keine angenehmen Genossen. Deswegen hatte er sie auch vor langer Zeit verlassen. Zwergen sind kleine, zähe Gestalten und Zipfelmützen tragen sie nur in den Phantasien von Menschen. Auch schieben sie keine Schubkarren vor sich her. Diese rotwangigen, dicklichen, niedlichen Gestalten, die bei manch einem im Garten stehen, haben nichts mit eigentlichen Zwergen zu tun. Zwerge sind sehr klein, haben spitze Nasen und spitze Ohren. Sie kleiden sich mit Fellen und Tierhäuten und ihr Körperbau ist drahtig. Arme und Beine sind sehnig und stark behaart. Auf Josun traf all dies zu, nur seine Kleidung unterschied sich erheblich von der eines Durchschnittszwerges. Ihm waren Flechten und Moose viel lieber als Tierfelle, denn er jagte nicht. Er kochte sich auch keine deftigen Fleischmahlzeiten, vermutlich war er der einzige vegetarische Zwerg, den diese Welt je gesehen hat. Die Elfen in seinem Baum hatten ihm auch Kleidung aus ihren Stoffen geschneidert.
Elfen sehen auch nicht aus wie die auf den Postkarten und Bilderchen, die sich die Menschen manchmal schenken. Auch unter ihnen gibt es grobschlächtige Erscheinungen, aber die meisten waren von kleinem, zarten Wuchs, wenn auch um einiges größer als Zwerge. Sie konnten gut mit leichten Waffen umgehen, aber die Zwerge, die mit Josun den Baum teilten, waren nicht bewaffnet. Sie lehnten Waffen ab und waren eher auf Konsens aus als Konfrontation. Die trugen ihr Haar lang in Zöpfen. Ihre feingliedrigen Finger kannten allerhand Handwerke und so hatten sie sich ein kleines Haus aus totem Holz in den Baum gezimmert. Sie schneiderten dem Zwerg Kleidung und dafür kochte er für sie. So kamen sie wenigstens drei Mal am Tag gemeinsam an einen Tisch. Aber da der Zwerg das Kochen so liebte, fanden sie sich häufig auch öfter dort ein.
Josun stieß seine Haustür auf und wurde von der aufgehenden Sonne überrascht. Also war es doch nicht so spät, wie er gedacht hatte. Die Elfen huschten schon durch das Geäst. In ihren Augen sah er deutlich den Schrecken, den das Vibrieren ihnen wohl eingejagt haben muss. "Was ist geschehen?", rief er ins Geäst. "Die Bäume fallen!", schrie eine kleine Elfin. "Wir sehen es ganz deutlich und es fallen immer mehr.", ergänzte ein größerer Elf. "Ich kann nicht zu euch hoch klettern, mögt ihr herunterkommen? Ich habe auch ein Frühstück für euch.", fragte Josun. "Wir kommen gleich zu dir.", antwortete der größere Elf und wandte sich von Josun ab. Dieser verschwand wieder in seinem Haus und deckte geschwind den Tisch. Es waren viele Elfen, also beanspruchte es immer eine gewisse Zeit, den Tisch hübsch zu machen, aber Josun war davon überzeugt, dass Schönheit heute nicht so wichtig war.
Josun klopfte energisch an das Holz des Baumes: "Baumgeist, willst du mit uns essen?", fragte er. Es knirschte laut und eine Rauchschwade stieg aus dem Holz. "Du weißt, dass ich nicht im eigentlichen Sinne essen kann. Aber ich denke, ich sollte euch Gesellschaft leisten." Noch mehr Rauch waberte aus dem Holz und füllte den Raum soweit, dass eine Elf gerade so noch stehen konnte, ohne mit dem Geist zu kollidieren. Und da kamen sie auch schon. Sie kamen geduckt durch die Eingangstür, durch die Josun auch nur gerade so passte, und setzten sich alle auf ihre angestammten Plätze. Der größere Elf trat als Letzter ein und guckte so gleich zur Decke: "Ah, ich sehe, du hast unseren Gastgeber auch eingeladen. Gut so." Mit diesem Worten setzte sich der Elf. Er hatte ein sehr anmutige Gestalt und war der Älteste. Er hatte vor kurzer Zeit den Platz der Ältesten eingenommen, die bei einem Sturz von Baum umgekommen war.
Josun reichte einen Korb mit geschnittenem Brot und eine Karaffe mit Beerensaft herum. Alle nahmen sich und schenkten sich ein. Dann regte sich der Baumgeist, seine Stimme klang unangenehm schneidend: "Meine Lieben, wie ihr sicherlich bemerkt habt, ist dies kein sicherer Ort mehr für uns. Wir müssen fliehen, uns einen neuen Baum suchen." Die jüngeren Elfen verfielen in einen leises Schnattern. Sie kannten nur diesen Baum, kein anderer Baum, so waren sie der Meinung könne ihnen ein solches Heim bieten. Josun trank einen kräftigen Schluck und erhob die Stimme: "Wo sollen wir hin? Habt ihr von eurem Haus aus einen Ort gesehen, wo die Bäume stehen bleiben?" Er wandte sich direkt an die Elfen. "Nein, jeden Ort, den wir von dort aus sehen können, ist von den fallenden Bäumen betroffen. Wir werden lange wandern müssen. In unseren Geschichten existiert ein Ort, der Ewiger Wald heißt, aber der ist weit weg von hier und weder Zwerge noch Baumgeister dürfen dort hinein.", sagte der Älteste. "Dann werden sich unsere Wege hier trennen müssen.", man merkte dem Baumgeist seinen Unmut an. "Nein, ich möchte mit euch gehen. Ich möchte bei euch allen bleiben und nicht nur bei einem Teil von euch.", Josun hatte sich so an den Baumgeist und die Elfen gewöhnt und sie mochte sie aufrichtig. Er konnte sich ein Leben ohne sie kaum vorstellen. Der Älteste nahm seinen letzten Bissen Brot und spülte ihn mit Saft herunter. "Nun gut, wenn ihr bei uns bleiben möchtet, dann werden wir uns gemeinsam auf die Suche nach einem neuen Heim begeben. Wie viel Proviant kannst du heute herstellen?", er schaute Josun fragend an. "Wenn wir sparsam sind, reicht es eine ganze Weile.", erwiderte er. "Wir werden sparsam sein müssen, denn der Weg wird lang. Nun Josun, deine Aufgabe ist klar. Baumgeist, wie tief reichen die Wurzeln dieses Baumes?", der Älteste schaute zur Decke. "Sie reichen sehr tief." "Kannst du ergründen, ob die tiefsten Wurzeln, die du findest, denen anderer Bäume begegnen und in Erfahrung bringen, ob diese auch fallen?", der Älteste hatte offensichtlich einen Plan. "Ja, das kann ich, wenn diese Bäume auch von einem Baumgeist beseelt sind.", der Baumgeist wollte den Raum schon wieder durch die Wände verlassen, aber der Älteste hielt ihn noch kurz zurück. "Berichte mir zu Sonnenuntergang, was du erfahren hast." Der Baumgeist verschwand und die Luft in Speiseraum wurde merkbar leichter.
Josun stand auf und begann den Tisch abzuräumen, die kleineren Elfen halfen ihm dabei. Sie tuschelten immer noch und Josun merkte, dass ihnen der Gedanke, den Baum zu verlassen Angst machte. Elfen sind nicht gern auf dem Erdboden unterwegs und die Aussicht auf einen lange Wanderung schien bei keinem anwesenden Elfen Behagen hervorzurufen. Nachdem der Tisch sauber war, trollten sich die jüngeren Elfen aus dem Haus des Zwergen und es blieben nur die älteren Elfen bei ihm. "Wo sollen wir nur hin?", eine Elfin mittleren Alters sah sehr besorgt aus. "Mach dir keine Sorgen, der Baumgeist wird es uns heute Abend sagen können.", beschwichtigte sie der Älteste. "Aber bis dahin sollten wir abreisefertig sein. Also sammelt eure Kinder ein und packt euer Hab und Gut. Nehmt nur das Nötigste mit, denn der Weg wird lang. Ich bleibe bei Josun und helfe ihm, unser Proviant herzustellen.", der Älteste legte Josun eine Hand auf die Schulter und wies die anderen Elfen aus Wohnung.
Josun zeigte dem Ältesten, wie man Brot herstellt, wie man Obst einkocht und Gemüse einlegt. Die Elfen nahmen in Geäst das Haus auseinander, packten ihre sieben Sachen und verstauten sie in handlichen Säcken, die sie problemlos auf dem Rücken tragen konnten. Sie besohlten alle Schuhe frisch und flickten ihre Kleidung. Der Baumgeist drang tief ins Erdreich ein und erforschte das Wurzelwerk des Baumes. Er folgte den Wurzeln anderer Bäume, die er am Ende jener seines Baumes gefunden hatte und traf ab und zu auf einen auskunftwilligen Baumgeist. Die meisten hatten schon lange nicht mehr mit jemanden gesprochen und wollten den Baumgeist für ein längeres Gespräch beanspruchen, aber als sie erfuhren, wie ernst die Lage seines Baumes war, ließen sie sehr schnell ab von ihrer fixen Idee und rangen ihm nur das Versprechen ab, sie zu besuchen, wenn er einen neuen Baum gefunden hat.
Und so trafen sie alle am Abend wieder in der Wohnung des Zwerges zusammen. Es gab einen deftigen Gemüseeintopf und einen warmen Tee. Der Kessel stand dampfend neben dem Tisch und die Elfen standen in einer Reihe und warteten darauf, dass ihre Schüssel gefüllt wird. Die jüngsten zuerst, so war es üblich, denn sie mussten noch wachsen, dann die Alten und zum Schluss die mittleren Alters. Als alle vor ihrer vollen Schüssel saßen, jeder mit einem Löffel in der Hand und gerade anfangen wollten, füllte sich der Raum mit Nebel. Der Baumgeist war eingetroffen. "Oh, wie das duftet. Wenn ich das rieche, wünsche ich mir immer, ich könnte auch essen, wie ihr es könnt. Lasst euch nicht stören. Esst ruhig, während dessen kann ich euch von meiner Reise erzählen." Der Baumgeist schien erheblich bessere Laune zu haben als noch am Morgen. Ach war der Raum bedeutend wärmer als am Morgen. "Also ich habe also die Aufgabe übernommen, in Erfahrung zu bringen, ob es einen Ort gibt, der nicht von fallenden Bäumen betroffen ist..." Der Geist erzählte lange und ausführlich von den anderen Baumgeistern, die er tagsüber kennengelernt hatte. Er schien gar nicht zu einem Ende kommen zu wollen, aber der Älteste und Josun sagten nichts, denn sie ahnten, dass das ein gutes Zeichen war. Der Raum heizte sich immer mehr auf und als die vierte Runde Suppe gerade ausgelöffelt war, es hatte ja kein Mittag gegeben, verstummte der Baumgeist. "Was ist, warum sprichst du nicht weiter? Ich wusste gar nicht, dass es so unterschiedliche Baumgeister gibt.", Josun drehte seinen Stuhl, während er das sagte, wieder zum Suppenkessel, um den Elfen, die noch Hunger hatten, eine fünfte Runde aufzuschöpfen. "Nun...", der Baumgeist räusperte sich, was in etwa so klingt als würde ein dicker Ast brechen, die kleinen Elfen guckten ganz erschrocken um sich, "der letzte Baumgeist, den ich traf, war schon sehr alt, er hatte schon viel erlebt und als ich ihm von unserem Problem berichtete, wusste er wovon ich sprach. Er hat das auch schon erlebt. Er lebt in einer sicheren Gegend, dort fallen keine Bäume." "Und du bist dir sicher, dass er nicht im Ewigen Wald lebt?", fragte Josun besorgt. "Er kann nicht im Ewigen Wald leben, dort gibt es keine beseelten Bäume.", stellte der Älteste erleichtert fest. "Kannst du uns dort hinführen?", fragte er den Baumgeist. "Ja, das kann ich.", antwortete er "Aber der Weg wird lang und beschwerlich." "Ich denke, dass das hier jedem bewusst ist, aber unser Heim fällt, also müssen wir weichen, so beschwerlich der Weg auch sein mag." Der Älteste putzte sich den Mund ab. Eine kleine Elfin stieg auf ihren Stuhl und stimmte ein Freudenlied an. Ihr fröhlicher Gesang steckte alsbald alle an und so sangen sie alle aus vollem Herzen mit. Auch der Baumgeist versuchte sich daran, aber er begnügte sich letztendlich damit, zu zuhören.
Spät in der Nacht verließen alle Josuns Wohnung, um noch ein wenig Schlaf zu bekommen, bevor die große Wanderung am nächsten Tag ins Haus stand. Josun wusch sich und zog sein Nachthemd über. Zuvor hatte er noch das Geschirr weggeräumt. Das würde er hier lassen müssen, so sehr es ihm auch ans Herz gewachsen war. In den Wänden nahm er ein leises Säuseln wahr, der Baumgeist schlief also schon. Er wollte gerade die Augen schließen, als plötzlich ein Ruck durch den gesamten Baum fuhr. Er sprang aus dem Bett und hämmerte wie von Sinnen gegen die Wand. "Baumgeist! Wir werden in den nächsten Minuten fallen." Aufgeregt zog er sich um und schrie aus seiner Haustür zu den Elfen: "Wir fallen!" Die Elfen wankten bereits hektisch durch das Blattwerk des Baumes. Jeder suchte nach seinem Päckchen, was er tragen sollte und sie warfen dem Zwerg seines herunter. Er schnürte es sich auf den Rücken und band seine Schuhe fest zu. Nacheinander kamen die Elfen aus dem Baum. Die kleinsten schwankten noch etwas schlaftrunken um die älteren herum. Der Baumgeist stieg aus dem Baum heraus. Nachts würde er gut zu sehen sein, ging doch ein grüner Schimmer von ihm aus, aber tagsüber... Josun wurde bang ums Herz, ob es so eine gute Idee war, sich auf den Geist als Führer zu verlassen?
Es krachte nochmals laut, der Baum kippte nach und nach zur Seite. Josun schaute noch einmal zurück. Er konnte sein Heim nicht ohne ein paar Tränen verlassen. Er blickte zum Ältesten herauf. Auch er hatte Tränen in den Augen: "Es war ein guter Baum, aber es ist Zeit zu gehen." Und so ging der Älteste mit Josun voran. Der Baumgeist war ihnen schon etwas vorausgeeilt. Die Luft war eisig. Josun hörte die kleinen Elfen weinen und die Beschwichtigungen der anderen Elfen. Sie stiegen auf eine Anhöhe. Es war anstrengend mit so vollem Magen eine solche Steigung zu bezwingen, aber sie nahmen es ohne Jammern auf sich. Ihr Baum jauchzte nochmals lauf auf, dann hörten sie wie das Geäst auf den Boden zerbrach. Sie hatten den höchsten Punkt erreicht. Vor ihnen eröffnete sich eine beunruhigende Aussicht. Die Sonne streckte gerade ihre ersten Strahlen über den Horizont und beleuchtete so die Szenerie, die sich ihnen darbot. Überall gefallene Bäume. Etwas in Josun zerbrach.

Sonntag, 27. November 2011

Das Schweineherz

Es war einmal eine Zauberin, die war so schön, dass alle Männer und Frauen im Lande ihr zu Füßen lagen. Aber sie war eitel und wollte noch schöner und nicht älter werden. Also schlug sie ihr Zauberbuch auf und fand so einen Weg zu unvergänglicher Schönheit und ewiger Jugend.
Sie rief ihren Jäger zu sich und befahl ihm, die Kinder von der Straße zu holen, dass sie ihre Herzen essen könne, denn nur so würde die ewig schön bleiben. Der Jäger fügte sich der Zauberin, denn er fürchtete ihre Strafe, wenn er sich ihr verweigern würde. Und so sammelte der Jäger die Kinder von der Straße auf und brachte sie zur Zauberin.
Bald war die Zauberin weit über das Land hinaus für ihre Schönheit, aber auch für ihre Grausamkeit bekannt. Sie wurde immer schöner, umso mehr Herzen sie aß. Eines Tages kam der Jäger mit neuen Kinder zu ihr. Die Kinder weinten bitter und der Jäger wollte gar nicht aus den Händen geben, aber als er die Augen hob, um die Zauberin anzusehen, fiel er leblos um. Und so geschah es auch mit den Kindern, die die Zauberin ansahen.
Die Zauberin konnte sich das nicht erklären, also holte sie einen Hexer zu sich. Dieser aber wehrte sich dagegen von Angesicht zu Angesicht mit ihr zu sprechen. Die Zauberin ließ sich, erbost über das Verhalten des Hexers, eine Stellwand bringen, damit der Hexer mit ihr spreche. Die Zauberin trat hinter diese Wand und der Hexer trat herein. Er erklärte ihr, dass sie nun so schön sei, dass ein jeder, der sie anblicke, tot umfallen müsse. Denn sie habe so viel Tod in die Welt gebracht, um schön zu werden, dass jetzt auch ihre Schönheit todbringend sei.
Die Zauberin wies daraufhin jeden an, der mit reden wollte, eine Augenbinde zu tragen. Aber keiner außerhalb ihre Hauses durfte von diesem Umstand erfahren. Die Zauberin wurde immer einsamer und bitterer, denn niemand wagte es  mehr zu ihr zukommen. Aber sie ließ sich immernoch Kinder bringen, denn von ihrem Bestreben nach ewiger Schönheit hatte sie auch der Tod nicht abbringen können.
Und so kam es, dass eines Tages ein junges Mädchen mit einer Augenbinde in ihrer Halle stand und sie nach dem Geheimnis ihrer Schönheit fragte. Sie wolle auch so schön sein wie sie. Die Zauberin lachte und trat an das Mädchen heran. Nach vielen Jahren der Einsamkeit war sie das erste Geschöpf, was freiwillig zur Zauberin kam. Sie lud sie zum Verweilen ein, damit sie gemeinsam zu Abend essen können.
Eine Magd holte das Mädchen ab, badete es in einer Kammer und kleidete es in den schönsten Kleidern, die es je gesehen hatte. Sie geleitete es dann zum Abend zum Speisesaal und band dem Mädchen eine Augenbinde um, bevor es in den Saal trat.
Und so saßen sie an einer langen Tafel jeweils an einem Kopfende und die Bediensteten tafelten sie besten Speisen auf, die sie zuzubereiten fähig waren. Und sie legten präzise das Gedeck auf und auch so merkte man kaum, dass auch sie Augenbinden trugen. Das Mädchen sah nichts von dem, was sie aß, denn sie konnte ihre Augenbinde ja nicht ablegen.
Sie fragte wieder nach dem Geheimnis der Schönheit der Zauberin. Die Zauberin lachte hell und kalt wie schon beim ersten Mal. Das Geheimnis ihrer Schönheit werde sie nicht verraten, aber das Mädchen dürfe gern bei ihr wohnen und von ihr lernen. Das Mädchen willigte ein.
Aber lang hielt sie es nicht aus, das Schreien der Kinder und die auferlegte Blindheit. Und so kam es, dass sie Zauberin fragte, ob sie gehen dürfe. Aber der Zauberin war ihre Gefährtin lieb geworden und so schloss sie sie ein und holte sie gleich einem Spielzeug immer wieder heraus, wenn ihr nach Gesellschaft war.
Die Zauberin konnte ihr Geheimnis nicht lange für behalten und so erfuhr das Mädchen, bald nachdem es eingeschlossen wurde, dass sie Kinderherzen aß, um so schön zu bleiben. Das Mädchen wurde älter und langsam wurde aus ihr eine junge Frau. Ihr Herz wurde immer einsamer und sie wurde darüber sehr traurig. Sie überlegte sich eine List.
Sie ließ einen Küchenjungen zu sich kommen und bat ihn ein Schweineherz für sie kaufen und ihr zu zeigen, wie diese besondere Speise für die Zauberin zuzubereiten sei. Der Junge, der ahnte, dass das seine Freiheit bedeuten könne, besorgte ihr das Herz und zeigte ihr, wie man das Ragout für die Zauberin kocht.
Und so bereitete sie das Herzragout für die Zauberin zu und kündigte das auch der Zauberin an. Diese aß es nichts ahnend und freute sich sogar, dass ihre Gefährtin sie in ihrem Streben nach ewiger Schönheit unterstützte. Am nächsten Morgen schallte ein spitzer Schrei durch das Haus. Die Zauberin war beim Blick in den Spiegel tot umgefallen. Der Küchenjunge holte die junge Frau aus dem Verließ und sie flohen weit weg.
Dort wurde die junge Frau für ihre Schönheit bewundert und viele junge Männer baten um ihre Gunst, aber sie hielt zu dem Küchenjungen. Sie öffneten ein Wirtshaus namens "Zum Schweineherz" und wenn sie nicht gestorben sind, dann schenken sie noch heute Bier aus. Aber eines sollte es nie bei ihnen geben: Herzragout.

Montag, 14. November 2011

Träume

Leise schlitternd durch die Nacht,
hörst du sie, wie sie leise wispern?
Sie erzählen dir die schönsten Dinge,
Sie erzählen dir von…
Hörst du sie?
Sie schleichen sich heran,
Ergreifen dich,
Während du dich schlafend tanzen lässt.
Wie still sie in dir explodieren,
Wie du lautlos auf grüne Hügel steigst,
Um dir die Sterne zu nehmen,
Die dir schon immer zustanden.
Wie kleine Lichter,
Wie Blumen,
Die nur im Mondlicht aufgehen…
Du trittst ihnen bei.
Höre ich euch,
Leise schlitternd durch die Nacht?

Samstag, 5. November 2011

Seelentröster

Du sitzt auf der kleinen Insel in der Bucht und schaust scheinbar auf das Wasser. Genau kann ich das nicht sagen, da du mir den Rücken zugewandt hast. Du siehst schön aus so. Deine Haare, ich habe ihren Geruch noch sehr genau in der Nase, fallen auf deine Schultern. Du hast deinen Hals gereckt, als würdest du etwas in der Ferne suchen. Vielleicht den Ort, den du auf deinem Weg als nächstes vorgesehen hast.
Morgen wirst du nicht mehr dort sitzen, morgen wirst du nicht mehr hier sein. Aber jetzt geht die Sonne gerade auf, es ist keine Zeit an morgen zu denken. Ich erinnere mich an deine Haut unter meinen Händen. Mit nichts vergleichbar. Es wäre sogar dumm nach Vergleichen zu suchen, wäre es doch ein sinnloses Unterfangen. Dieses Gefühl hat sich in meine Hände gebrannt. Ab jetzt wird jede Haut, über die diese Hände fahren mit deiner in Verbindung gebracht.
Ich kann es ihm nicht sagen. Ich wüsste nicht wie. Es war dumm von mir, diesen Teil zu vergessen. Eigentlich war es klar, dass so etwas passieren würde. Dass ich irgendwann wieder danach greifen würde, weil es mir... Fehlen ist nicht das richtige Wort, aber in dem Moment, in dem ich dich ansehe, begreife ich nicht, warum ich nicht das in meinem Herzen tragen darf, was ich für dich in meinem Herzen trage. Dieses Kribbeln.
Ich bin vorhin allein aufgewacht und habe dich hier gefunden, auf der kleinen Insel in der Bucht. Du musst rübergewatet sein. Du hast deine Hose hochgekrempelt... oder nein, du hast sie vermutlich nicht hochgekrempelt. Wie lang du da wohl schon sitzt?
Es geht mir weniger um die Normen, denen ich nicht folge, denn das habe ich noch nie getan. Ich habe es versucht, aber klägliches Scheitern hat meinen Weg eher gezeichnet als Anpassung. Anpassung...
Einige werden auf die schlechte Saat schimpfen, auf all das, was ich nicht bin, aber für sie schon. Aber sie werden vermutlich nie etwas von mir wissen. Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt sich in jemanden zu verlieben. Sich in dich zu verlieben.
Zu gerade war ihr Weg und zu krumm ist meiner. Wir kreuzen uns ab und zu, aber im Moment können wir nicht weiter voneinander entfernt sein. Distanz. Du sitzt regungslos auf der kleinen Insel. Ich ziehe meine Schuhe aus, ich würde sie sowieso am Ufer verlieren. Ich stelle sie zu deinen am Waldrand. Ob ich dasselbe sehen werde wie du? Sehen zwei Augenpaare dasselbe, wenn sie ein und dasselbe ansehen?
Ich muss gestern vor dir eingeschlafen sein. Was du da wohl gesehen hast? Hast du überhaupt etwas gesehen, oder warst du, wie ich, betrunken vor Glückseligkeit? Ich spüre die kleinen Äste unter meinen nackten Füßen, wie sie sich in meine Fußsohle bohren und einen leichten stechenden Schmerz hinterlassen. Wie eine Erinnerung daran, dass wir an die Erde gebunden sind und nicht einfach wegfliegen können, um vor uns zu fliehen.
Wie kann das falsch sein, was ich fühle? Warum sollte mein Herz etwas Falsches fühlen. Ich bin doch trotzdem noch bei ihm, mit meinem Herzen, aber du hast dir jetzt auch einen Platz dort erhascht. So, wie du jetzt sitzt, so habe ich einen Teil meines Herzens an dich verloren. Du warst einfach nur da. Ich hole eine Decke aus dem Zelt hinter mir. Es ist kühl. Wie hälst du es nur so aus, oberkörperfrei. Mich fröstelt es bei deinem Anblick. Der Wind streift durch deine Haare. Ich gehe zum Ufer und teste mit einem Fuß die Temperatur.
Ich zucke zusammen, kälter als ich dachte. Ich raffe meinen Rock zusammen und setze meinen Fuß fest auf den Grund des Wassers. Um nicht zu erstarren, wate ich einfach stur, ohne auf die Kälte zu achten, durch das Wasser. In Bewegung bleiben. Ich erklimme die kleine Insel, auf der du sitzt. Du musst mich hören. Du drehst deinen Kopf zu mir und lächelst. Du rückst ein wenig ab, ich lege die Decke um unsere Schultern und wir lehnen uns aneinander. Du nimmst meine linke Hand und streichst darüber. Dann legst du sie auf deinen Bauch. Du bist nicht durchgefroren, du bist warm.
Ich sehe dich an. Du bist eine schöne Frau. Dein Lachen geht mir ins Herz, dein Weinen würde es auch. Wenn du morgen fort bist, dann werden wir uns wiedersehen. Etwas in mir ist sich da ganz sicher. Ich muss lächeln. Nichts in mir weint, nichts warnt mich, ich lasse mich einfach treiben in diesen Gefühlen. Mit dir. Und mit ihm. Ich werde versuchen, es ihm zu sagen. Denn das hier kann nicht falsch sein.

Ansehen

Sie sieht durch das Fenster im ersten Stock, wie er sich auszieht. Sie sieht ihn an, sieht jeden Muskel an ihm. Das orange Licht der Straßenlaterne bricht in den Regentropfen, die an ihre Stirn herunterlaufen. Ihre Haare kleben nass in ihrem Gesicht. Ihre Kleidung klebt ihr. Ein leises Zittern durchfährt ihren Körper.
Sie klingelt an der Haustür. Es surrt, sie läuft die Treppen hoch. Die Regentropfen laufen am Fenster zum Hinterhof hinunter. Er steht in der Tür, die Arme an den Türsturz gelehnt. Sie sieht ihn an, sieht jedes Haar an ihm. Er sieht sie an, sieht sie. Sie läuft an ihm vorbei in die Wohnung. Sie zieht die Schuhe aus. Jede Tür steht offen, sie geht an der Küche vorbei, am Wohnzimmer, am Arbeitszimmer, ins Schlafzimmer. Sie zieht sich aus, legt ihre Sachen zusammen und geht ins Bad.
Er folgt ihr. Er beobachtet sie und hängt ihre Kleidung auf.
Sie steht vor dem Waschbecken und sieht sich seinen Rasierapparat, seine Zahnbürste, seinen Kamm an. Sie macht eine Schranktür auf, Duschzeug. Sie macht die nächste auf, Medikamente. Sie greift in das Regal und nimmt sich ein Handtuch. Sie legt es in das Waschbecken und steigt unter die Dusche. Warmes Wasser prasselt auf ihren Körper. Sie dreht das Wasser ab und seift sich ein. Sie braust sich ab. Letzte Wassertropfen rinnen an ihr herunter. Sie nimmt das Handtuch aus dem Waschbecken und trocknet sich ab. Sie legt das Handtuch auf den Boden und rubbelt ihre Füße trocken. Sie öffnet das Fenster, kühle Luft strömt in das Bad hinein und vertreibt den Wasserdampf ihrer Dusche. Sie verlässt das Bad, ihre Füße machen ein leises Geräusch, wenn sie auftritt. Sie geht ins Schlafzimmer. Sie setzt sich auf die Bettkante und vergräbt ihre Zehen im weichen Teppich.
Er steht in der Schlafzimmertür. Er sieht sie an, sieht jeden Leberfleck an ihr. Er streckt sich und geht zum Bett. Er setzt sich neben sie. Er sieht ihr Gesicht an, sieht jedes Fältchen in ihm. Sie riecht nach seiner Seife. Sie riechen beide gleich. Er legt eine Hand auf ihre Schulter. Er legt sich hin und reißt sie mit sich. Er zieht die Decke hoch. In ihrer Nähe ist es warm.
Sie dreht sich weg von ihm. Sie greift nach mehr Decke und klemmt sich etwas davon zwischen die Knie. Er riecht wie sie. Sie riechen beide gleich. In seiner Nähe ist es warm. Sie schläft ein.
Er wacht auf, mit ihr im Arm. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich unter seinem Arm. Seine Hand liegt auf ihrem Bauch. Ihre Haut ist weich. Er hört ihren Atem. Er hört seinen Atem. Sie atmen im selben Rhythmus. Er steht auf, geht ins Bad und hängt das Handtuch auf. Er rasiert sich und geht in die Küche.
Sie wacht auf. Er ist nicht da. Das Bett riecht noch nach ihm. Aber seine Wärme ist nur noch ein Schatten. Sie steht auf. Sie hört ihn in der Küche. Sie geht ins Bad und wäscht sich das Gesicht. Bartstoppeln hängen noch im Waschbecken. Sie geht in die Küche.
Auf der Bar stehen zwei Teller, auf jedem ein Brötchen. Dazu eine Tasse, aus der dampft. Er sitzt auf einem Barhocker. Er sieht sie an. Sie sieht ihn an. Sie setzt sich zu ihm auf den anderen Barhocker. Sie schmieren die Brötchen, essen sie und trinken etwas.
Sie rutscht vom Barhocker herunter und verlässt die Küche. Sie sammelt ihre trockenen Klamotten ein und zieht sich im Schlafzimmer an. Er folgt ihr. Er zieht sich an.
Sie geht ins Bad und spült sich den Mund aus. Sie geht in den Flur. Sie zieht sich ihre Schuhe an und macht die Tür auf. Sie läuft die Treppe herunter. Bei dem Hinterhoffenster dreht sie sich um.
Er sieht ihr nach. Er sieht sie an, sieht sie. Sie sieht zurück. Sie sieht ihn an, sieht ihn. Er will etwas sagen. Sie schüttelt den Kopf. Er sieht sie an. Sie nickt. Sie läuft die Treppen herunter. Sie öffnet die Haustür.
Die Sonne scheint.