Freitag, 29. Juni 2012

papierkrieg

ich beuge mich über den text. meine augen wandern zeile um zeile den text entlang. er ist schlecht. die worte sind unglücklich gewählt. die charaktere zu flach gezeichnet.
ich setze den stift an. streiche buchstaben um buchstaben. tilge den text. vernichte bestehendes. nehme mir vor, von vorn zu beginnen.
in mir regt sich zweifel. ich finde den text so unerträglich. ich werde ihn doch nicht mehr anfassen. wie konnte ich nur so etwas stümperhaftes schreiben? was ist da nur in mir vorgangen? es ist mir unerträglich noch ein weiteres wort dieses textes zu lesen.

mir gegenüber sitzt eine frau. neben ihr ein mann. er hält ihre hand. er drückt sie sehr doll. hält sie fest. sie liegt wiederstandslos in seiner. sein arm ist steif. ihrer ganz weich.
seine augen sind verhangen. sein blick abwesend. er schaut sie unablässig an. sie schaut weg. manchmal zum fenster raus. ich sehe, wie ihre augen vorüberziehendes fixieren. und dann springt ihr blick zu mir. ich kann sie nicht ansehen. in ihren augen steht eine frage. unausgesprochen. zwischen uns dreien. sie schafft gemeinschaft. ich habe nicht danach gefragt.

ich wende mein gesicht ab. gucke in den flur. auf ihre knie. auf den text, der auf meinen oberschenkeln liegt. ich stecke fest. komme keinen schritt weiter. mir ist der atem ausgegangen. worte hängen in meinen fingern quer. ich kann sie nicht aufschreiben. kann ihnen keinen platz einräumen. meine stummen finger klammern sich an papier und rotstift. ich streiche text durch. kaue an dem stift herum. hadere mit der entscheidung, ein wort zu streichen oder zu belassen.

es ist heiß im abteil. schweiß läuft an meinen beinen herunter. die lüftung ist ausgefallen. durch das fenster kommt glühende, trockene luft in den kleinen raum. ich lege mir ein nasses tuch auf die stirn. das wasser läuft über mein gesicht und vermischt sich mit dem schweiß. ein salziger geschmack breitet sich in meinem mund aus.

sie hat nicht viel an. eine kurze hose. ein trägeroberteil. sandalen. die haare hochgebunden. er hat eine lange hose an. sehr grob. das hemd ähnlich. erdtöne. sie auch. die sonne hat sich bereits in seine haut gegraben. sie ist blass. ihr gesicht aschfahl. die augen glasig. sie rutscht in ihrem sitz herunter. sackt in sich zusammen. ihre augen flattern.

wasser tropft auf den text. tinte verschwimmt. hier schreibe ich nur noch mit bleistift. leichter. trocknet nicht aus. aber der text ist älter. das tuch gleitet von meiner stirn auf das blatt papier. ich verhindere es nicht. ich fische es herunter. die tinte zerläuft. die roten striche bleiben.
die heiße luft trocknet meine stirn. ich wische mit dem tuch über meine arme. meine beine. meine stirn vor ihren knien. mein blick wandert zu ihren augen. über ihren bauch. ihre brust. dürftig bedeckt. kleine schweißperlen auf ihren schultern. ihr kinn. ihre wangenknochen. ihre augen sind geschlossen.

sie hat ihr gesicht vollständig von dem mann neben ihr abgwandt. dieser sitzt unbeweglich neben ihr. seine hand hält ihre fest. er drückt sie so stark, dass das fleisch unter seinen fingernägel weiß wird. alles an ihm wirkt angespannt. er hat sich die letzte stunde nicht ein mal bewegt. sie windet sich in ihrem sitz. stöhnt. er verharrt stumm. hält ihre hand. sieht sie an.
ihre hände. der einzige punkt an ihren beiden körpern, der sich berührt. nicht einmal ihre blicke kreuzen sich.

ich richte mich auf. wende mich dem blatt papier zu. es ist durchgeweicht. die buchstaben verschwimmen vor meinen augen zu einer gräulichen, schlierigen füssigkeit, die kalt vom blatt auf meine füße tropft. worte zerfließen. ich muss nichts mehr streichen. mein wunsch hat bereits alles vernichtet.
der anblick bleibt unerträglich. das wissen um die worte quält mich. gefangen. gefesselt. ich zwinge mich, das papier wegzulegen. neben mich. der platz ist frei.

nur wir drei. ihre augen bleiben an meinen hängen. ich kann das nicht halten. will es nicht. diese traurigkeit. diese einsamkeit. ich bin kein anschluss. kein trost für sie kann von mir ausgehen. soll von mir ausgehen.
meine haut klebt am sitz fest. es reißt, wenn ich mich bewege. wieder wische ich meine arme mit dem tuch ab. nach der uhr komme ich bald an. das gepäck liegt in einem anderen waggon. am ende des zuges.

ein lautes schluchzen bricht tief auf seinem inneren aus ihm heraus. er zieht sich in sich zusammen. alle spannung fällt von ihm ab. er rollt sich auf den sitz. packt sie. schüttelt sie. drückt sie.
sie wankt substanzlos in seinem griff. wirkt abwesend. fern von hier. sucht meinen blick.

ich will nicht. fliehe zum text. der keiner mehr ist. das ist nicht mein kampf.

ihr körper ist ihm völlig ergeben. macht alles, was er ihr antut, klaglos mit. ihre haut wirkt fast durchscheinend. die blauen adern durchbrechen ihren porzellanhaften teint. aber sie zerbricht nicht. sie formt sich nach seinem willen.
er stöhnt. wild geworden. bläht sich auf. die heiße luft dringt in sein inneres. er schreit laut auf. wird starr vor schreck. sink wieder in sich zusammen. nach luft schnappend. legt die stirn auf ihre schweißbedeckte schulter.

die luft strömt pfeifend ins abteil. die landschaft hat sich nicht verändert. schmutziggelbe, steinige erde. verdorrte pflanzen. dornenbesetzt. damit keiner ihre letzte lebenskraft raubt.

ich setze meine füße auf die verbrannte erde. das vernichtende gewicht des gepäckes auf meinen schultern. meine begleiter erwarten mich bereits. ihre augen hinter glas. ihre hände am fenster. ihre wangen überströmt. es hat schon lang nicht mehr geregnet.

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