Samstag, 5. November 2011

Seelentröster

Du sitzt auf der kleinen Insel in der Bucht und schaust scheinbar auf das Wasser. Genau kann ich das nicht sagen, da du mir den Rücken zugewandt hast. Du siehst schön aus so. Deine Haare, ich habe ihren Geruch noch sehr genau in der Nase, fallen auf deine Schultern. Du hast deinen Hals gereckt, als würdest du etwas in der Ferne suchen. Vielleicht den Ort, den du auf deinem Weg als nächstes vorgesehen hast.
Morgen wirst du nicht mehr dort sitzen, morgen wirst du nicht mehr hier sein. Aber jetzt geht die Sonne gerade auf, es ist keine Zeit an morgen zu denken. Ich erinnere mich an deine Haut unter meinen Händen. Mit nichts vergleichbar. Es wäre sogar dumm nach Vergleichen zu suchen, wäre es doch ein sinnloses Unterfangen. Dieses Gefühl hat sich in meine Hände gebrannt. Ab jetzt wird jede Haut, über die diese Hände fahren mit deiner in Verbindung gebracht.
Ich kann es ihm nicht sagen. Ich wüsste nicht wie. Es war dumm von mir, diesen Teil zu vergessen. Eigentlich war es klar, dass so etwas passieren würde. Dass ich irgendwann wieder danach greifen würde, weil es mir... Fehlen ist nicht das richtige Wort, aber in dem Moment, in dem ich dich ansehe, begreife ich nicht, warum ich nicht das in meinem Herzen tragen darf, was ich für dich in meinem Herzen trage. Dieses Kribbeln.
Ich bin vorhin allein aufgewacht und habe dich hier gefunden, auf der kleinen Insel in der Bucht. Du musst rübergewatet sein. Du hast deine Hose hochgekrempelt... oder nein, du hast sie vermutlich nicht hochgekrempelt. Wie lang du da wohl schon sitzt?
Es geht mir weniger um die Normen, denen ich nicht folge, denn das habe ich noch nie getan. Ich habe es versucht, aber klägliches Scheitern hat meinen Weg eher gezeichnet als Anpassung. Anpassung...
Einige werden auf die schlechte Saat schimpfen, auf all das, was ich nicht bin, aber für sie schon. Aber sie werden vermutlich nie etwas von mir wissen. Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt sich in jemanden zu verlieben. Sich in dich zu verlieben.
Zu gerade war ihr Weg und zu krumm ist meiner. Wir kreuzen uns ab und zu, aber im Moment können wir nicht weiter voneinander entfernt sein. Distanz. Du sitzt regungslos auf der kleinen Insel. Ich ziehe meine Schuhe aus, ich würde sie sowieso am Ufer verlieren. Ich stelle sie zu deinen am Waldrand. Ob ich dasselbe sehen werde wie du? Sehen zwei Augenpaare dasselbe, wenn sie ein und dasselbe ansehen?
Ich muss gestern vor dir eingeschlafen sein. Was du da wohl gesehen hast? Hast du überhaupt etwas gesehen, oder warst du, wie ich, betrunken vor Glückseligkeit? Ich spüre die kleinen Äste unter meinen nackten Füßen, wie sie sich in meine Fußsohle bohren und einen leichten stechenden Schmerz hinterlassen. Wie eine Erinnerung daran, dass wir an die Erde gebunden sind und nicht einfach wegfliegen können, um vor uns zu fliehen.
Wie kann das falsch sein, was ich fühle? Warum sollte mein Herz etwas Falsches fühlen. Ich bin doch trotzdem noch bei ihm, mit meinem Herzen, aber du hast dir jetzt auch einen Platz dort erhascht. So, wie du jetzt sitzt, so habe ich einen Teil meines Herzens an dich verloren. Du warst einfach nur da. Ich hole eine Decke aus dem Zelt hinter mir. Es ist kühl. Wie hälst du es nur so aus, oberkörperfrei. Mich fröstelt es bei deinem Anblick. Der Wind streift durch deine Haare. Ich gehe zum Ufer und teste mit einem Fuß die Temperatur.
Ich zucke zusammen, kälter als ich dachte. Ich raffe meinen Rock zusammen und setze meinen Fuß fest auf den Grund des Wassers. Um nicht zu erstarren, wate ich einfach stur, ohne auf die Kälte zu achten, durch das Wasser. In Bewegung bleiben. Ich erklimme die kleine Insel, auf der du sitzt. Du musst mich hören. Du drehst deinen Kopf zu mir und lächelst. Du rückst ein wenig ab, ich lege die Decke um unsere Schultern und wir lehnen uns aneinander. Du nimmst meine linke Hand und streichst darüber. Dann legst du sie auf deinen Bauch. Du bist nicht durchgefroren, du bist warm.
Ich sehe dich an. Du bist eine schöne Frau. Dein Lachen geht mir ins Herz, dein Weinen würde es auch. Wenn du morgen fort bist, dann werden wir uns wiedersehen. Etwas in mir ist sich da ganz sicher. Ich muss lächeln. Nichts in mir weint, nichts warnt mich, ich lasse mich einfach treiben in diesen Gefühlen. Mit dir. Und mit ihm. Ich werde versuchen, es ihm zu sagen. Denn das hier kann nicht falsch sein.

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